Demografischer Wandel: Mega-Herausforderungen für die Sozialpolitik

Gerhard Naegele

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Gerhard Naegele, Demografischer Wandel: Mega-Herausforderungen für die Sozialpolitik (27.04.2024), Beltz Juventa, 69469 Weinheim, ISSN: 0342-2275, 2011 #2, S.88

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Bekanntlich wird schon seit mehreren Jahrzehnten die Bevölkerung Deutschlands kontinuierlich älter, und dieser Trend wird auch künftig dauerhaft anhalten. Für diese Entwicklung sind insbesondere zwei als irreversibel geltende Trends verantwortlich: Konstant niedrige Geburtenraten und eine weiter steigende mittlere und fernere Lebenserwartung: - Seit langem schon schwankt die "zusammengefasste Geburtenziffer" zwischen 1,3 und 1,4 und liegt damit um etwa ein Drittel unterhalb der für die natürliche Reproduktion der einheimischen Bevölkerung erforderlichen Geburtenrate. Hierfür sind im Wesentlichen drei Trends bedeutsam (1) Frauen werden immer später Mutter. (2) Die Zahl der lebenslang kinderlos bleibenden Frauen steigt. (3) Zwar bleibt die durchschnittliche Kinderzahl je Mutter relativ stabil, aber vor dem Hintergrund der ersten beiden Megatrends nimmt die durchschnittliche Zahl der Kinder, die die Frauen eines Jahrgangs zur Welt bringen, im Zeitablauf ab. - Sowohl die mittlere Lebenserwartung einer Neugeborenen wie die fernere Lebenserwartung bereits Lebensälterer sind in der Vergangenheit stark gestiegen. Ein weiterer Anstieg wird erwartet. Die 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes vom November 2009 kommt in ihrer Basisannahme für 2060 zu einer durchschnittlichen Lebenserwartung neugeborener Jungen von 85,0 Jahren und neugeborener Mädchen von 89,2 Jahren (zum Vergleich: Sterbetafel 2006/2008: 77,2 bzw. 82,4 Jahre). Für 65-jährige Männer wird für 2060 eine fernere Lebenserwartung von 87,3 Jahren und für 65-jährige Frauen von 90,5 Jahren angenommen (jeweils etwa 5 Jahre mehr gegenüber 2006/2008). - Zwar sind auch künftig allerdings eher moderat ausfallende Außenwanderungsgewinne zu erwarten - bedingt insbesondere durch das Schrumpfen des einheimischen Erwerbspersonenpotenzials und dadurch induzierte Arbeitsmigration sowie weltweite, durch den Klimawandel verstärkte Wanderungsbewegungen. Aktuell gibt es übrigens schon mehr Abwanderungsverluste als Zuwanderungsgewinne. Allerdings wird dadurch sowohl der Trend zur Schrumpfung (s.u.) wie zum kollektiven Altern der Bevölkerung nicht aufgehalten, allenfalls im Anstieg abgebremst. Andererseits steigt die Zahl älterer Menschen mit Migrationsgeschichte und stellt insbesondere die sozialen Dienste vor neue Herausforderungen. - Vor diesem Hintergrund errechnet - je nach Annahmen - das Statistische Bundesamt für Deutschland im Jahre 2060 eine Gesamtbevölkerungszahl von zwischen 65 Mio. (Minimumvariante) und 77 Mio. (Maximumvariante) und somit in beiden Vorausberechnungen einen erheblichen Rückgang gegenüber der jetzigen Bevölkerungszahl von rd. 82 Mio. (Statistisches Bundesamt 2009). Schwerwiegender als das Schrumpfen der Gesamtbevölkerung - Experten/innen sind sich darüber einig, dass es keine "optimale Bevölkerungsgröße gibt - sind die Konsequenzen des demografischen Wandels für die Bevölkerungszusammensetzung: Das "dreifache Altern" der Bevölkerung setzt sich fort: (1) Zunahme des Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung, (2) Zunahme der absoluten Zahl der Älteren sowie (3) Zunahme insbesondere von Anteilen und Zahlen sehr alter Menschen (80+) ("Hochaltrigkeit", "viertes Alter"). Ausgehend von aktuell etwa 21%, so werden im Jahr 2030 schon 29% der Bevölkerung 65 und älter sein, 2060 sogar mehr als jeder dritte Einwohner Deutschlands. Bezogen auf die Gruppe 80+ werden von jetzt etwa 4 Mio. bzw. einem Anteil von noch erst 5% an der Gesamtbevölkerung, 2060 etwa 9 Mio. Menschen - das heißt dann jeder 7. - 80 und älter sein, d.h. dann 14% der Gesamtbevölkerung, darunter mehrheitlich Frauen. Auch wenn die Lebenserwartung der Männer insgesamt stärker als die der Frauen ansteigt, wird sich an der "Feminisierung des Alters", insbesondere in den obersten Altersgruppen, nichts Grundlegendes ändern. Auf der anderen Seite sinkt die Zahl jüngerer Menschen weiter. Im Jahr 2060 wird es nach der bereits erwähnten 12. Bevölkerungsvorausberechnung nur noch etwa 10 Mio. junge Menschen im Alter von unter 20 Jahren geben - gegenüber aktuell noch etwa 16 Mio. Darunter werden sich mit steigenden Anteilen junge Menschen mit Migrationsgeschichte befinden, womit zugleich ein zentrales Anliegen der Integrations- und Bildungspolitik angesprochen ist, dessen Aktualität auch ich keineswegs unterschätze, zu dem ich aber andere als in den letzten Wochen vielfach zitierte Schlussfolgerungen ziehe, auf die ich hier aber nicht eingehen möchte. Entsprechend sinken auch Zahlen und Anteile der Menschen im so genannten erwerbsfähigen Alter von heute etwa 50 Mio. auf - je nach Annahme - zwischen 33 und 36 Mio. im Jahre 2060. Schon im Jahre 2035 wird etwa die Hälfte der Bevölkerung 50 Jahre und älter. In der Konsequenz altern auch die Belegschaften. Darin sehen vor allem jene Ökonomen, die dem "demografischen Krisenszenarium" nahe stehen, wichtige Indikatoren für künftig steigende gesamtwirtschaftliche Risiken ("Altern der Gesellschaft als Wachstums- und Innovationsbremse").

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