Pathologisierte Sozialität: „Spielsucht“ als institutionelle Verteidigung
Michael Dellwing and Alessandro Tietz
Cite this publication as
Michael Dellwing, Alessandro Tietz, Pathologisierte Sozialität: „Spielsucht“ als institutionelle Verteidigung (25.04.2024), Beltz Juventa, 69469 Weinheim, ISSN: 9783779960775, 2019 #1, p.50
48
accesses
accesses
Description / Abstract
Die Konstruktion des Suchtbegriffs zur Pathologisierung unerwünschten Verhaltens weitet sich seit einiger Zeit auf eine Reihe von Feldern aus, die nicht mit der Zuführung von Chemikalien einhergehen. Dazu zählt seit längerer Zeit die (Glücks-)Spielsucht und seit Kurzem nun auch die (Computer-)Spielsucht. Damit wird eine weit verbreitete soziale Praxis auf eine Weise pathologisiert, die vor allem Kinder und Jugendliche trifft und damit Normalerwartungen zu Produktivität, Engagement in formaler Bildung und Befolgen pädagogischer Pläne verteidigt. Der Beitrag rekurriert auf Erving Goffmans Thematisierung von Engagement, um dies als soziale Kontrolle von schulisch als deviant verstandenem Engagement zu verstehen. Dieser Pathologisierung liegt außerdem ein klassisches Verständnis von Sozialität zugrunde, die die sozialen Beziehungen, die mehr und mehr Folge und dann Grundlage dieser Spielaktivität darstellen, nicht als „echte“ Sozialität und die Beziehungen nicht als „echte“ Beziehungen verstehen möchte. Gerade online-Räume sind heute third places, in denen Bindungen jenseits des Nahbereichs etabliert werden. Damit kann festgehalten werden, dass die Zuschreibung „Spielsucht“ nicht nur normales jugendliches Freizeitverhalten pathologisiert, wo es nicht im Sinne der Schule geschieht, sondern sich zudem aufkommenden Formen von Sozialität in digitalen Welten widersetzt.