Das Fleischparadox

Zur soziokulturellen Genese eines moralischen Problems

Frithjof Nungesser

Diese Publikation zitieren

Frithjof Nungesser, Das Fleischparadox (2020), Campus Frankfurt / New York, 60486 Frankfurt/Main, ISSN: 1860-2177, 2020 #2, S.43

70
Accesses

Beschreibung / Abstract

Der vorliegende Artikel rekonstruiert die soziokulturelle Genese des »Fleischparadoxes«, das heißt die historischen Transformationen, die Fleischkonsum zu einer affektiv ambivalenten, rechtfertigungsbedürftigen und daher nicht mehr alternativlosen Praxis werden ließen. Die Rekonstruktion dieser Option erfolgt in vier Schritten: 1) Zunächst werden die seit dem 18. Jahrhundert zunehmenden Spannungen im Diskurs über die Mensch-Tier-Differenz umrissen. 2) Diese Spannungen werden dann mit dem Wandel der mit Tieren verbundenen Affektmuster und Verhaltensstandards verbunden. 3) Anschließend wird gezeigt, wie infolge von Urbanisierung und Industrialisierung der Kontakt zu Nutz- und Wildtieren zurückging, während sich die Heimtierhaltung verbreitete. Im Verein mit einer generellen Veränderung des Naturverhältnisses ermöglichte dieser Prozess eine zuvor ungekannte Sensibilisierung gegenüber Tierleid. 4) Schließlich wird gezeigt, wie Protest- und Lebensstilbewegungen durch die wachsende Sensibilisierung gegenüber Gewalt und Tierleid möglich wurden, wie diese die Sensibilisierung selbst durch öffentlichen Protest verstärkten und eine vegetarische Lebensweise nach und nach praktisch lebbar machten.

This article reconstructs the sociocultural genesis of the “meat paradox. † By this is meant the historical transformations that turned meat consumption into an affectively ambivalent practice that requires justification and thus is no longer considered to be unavoidable. The reconstruction of this option proceeds in four steps: (1) The first outlines the growing tensions in the discourse on the differences between humans and animals since the 18th century. (2) These tensions are then linked in a second step to the change in affective patterns and behavioral standards associated with animals. (3) Then I go on to illustrate how contact with farm and wild animals declined while pet ownership became more widespread as a result of urbanization and industrialization; combined with a change in the general relationship to nature, these processes sparked a new sensitivity to animal suffering. (4) In the fourth and final step, I will show how protest and lifestyle movements were made possible by the growing sensitivity to violence and animal suffering, and how this sensitivity was heightened by the movements†™ public protests, gradually making a vegetarian lifestyle a viable option.

Mehr von dieser Ausgabe

    Ähnliche Titel

      Mehr von diesem Autor