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Axiome der Klassischen Mechanik

Rainer Tiemeyer
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Rainer Tiemeyer, Axiome der Klassischen Mechanik (2016), Logos Verlag, Berlin, ISBN: 9783832589639

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Beschreibung / Abstract

Die axiomatisierte Darstellung einer mathematischen Theorie gilt traditionell als ein Ideal der Wissenschaftlichkeit. Euklids glq Elemente grq und Newtons glq Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie grq werden oft als epochale Werke der Axiomatik genannt. Von vorerst unbewiesenen Prinzipien oder Axiomen, die in materieller wie auch formaler Hinsicht tragende Säulen des jeweiligen Wissensgebäudes bilden, werden weitere Gesetze und Theoreme über logische Beziehungen und sachbezogene Zusatzannahmen gefolgert. Man gewinnt den Eindruck, die ganze Theorie im Blick zu haben, ohne dabei das einzelne Phänomen zu verlieren. Heute hat die axiomatisierte Darstellung einer wissenschaftlichen Theorie allerdings nicht mehr diejenige Selbstverständlichkeit, die ihr bis ins 20. Jahrhundert hinein zugekommen ist. Das gilt besonders für die Repräsentation von naturwissenschaftlichen Theorien. Von Seiten vieler Physiker und Wissenschaftstheoretiker findet man immer wieder den Vorwurf der gedanklichen Starre und Unangemessenheit, die bei der Entdeckung von neuartigen Gesetzen sogar hinderlich sein könne.

Das eben angedeutete Spannungsfeld zwischen logischer Analyse und empirischer Gesetzmäßigkeit in der Beurteilung von axiomatisierten Theorien ist der Ausgangspunkt, von dem aus diese Untersuchung ansetzt. Das Buch konzentriert sich dabei auf eine systematische Betrachtung der Klassischen Mechanik des 20. Jahrhunderts, als diese einerseits zu einer bewährten, umfassend mathematisierten Naturwissenschaft herangewachsen war und andererseits durch neuere Mechaniken (Quantentheorie und Relativitätstheorie) eingeschränkt wurde.

Entsprechend gibt es erkenntnistheoretische Gründe für die gewandelte Auffassung über Axiomatik, die im Buch beleuchtet werden. Verfehlte Kritiken wie auch echte Repräsentationsprobleme von Axiomatisierungen, die bei empirischen Gesetzen auftreten, stehen im Vordergrund. Dabei wird vor allem die neuere, wegweisende Variante eines Begründungsversuchs betrachtet, die als glq axiomatische Methode grq nach dem Göttinger Mathematiker David Hilbert (1862-1943) bekannt ist. Entscheidend ist hierbei, dass nur systematische Kennzeichnungen der konstitutiven Begriffe und Gesetze im axiomatischen Aufbau betrachtet werden. Ausgeklammert werden axiomatische Aussagen darüber, woraus die Objekte glq materiell grq bestehen, was sie glq sind grq. Das eröffnet die Möglichkeit, allein Systemmerkmale zur logischen Beurteilung der wissenschaftlichen Theorie heranzuziehen.

In dem Buch wird die Umsetzung der axiomatischen Methode auf dem Gebiet der Klassischen Mechanik durch den Mechanik-Experten Georg Hamel (1877-1954) untersucht. Eines von Hamels Hauptwerken, die glq Axiome der Mechanik grq von 1927, stellt ein umfassendes Axiomensystem der Klassischen Mechanik dar. Der Titel des Buches orientiert sich entsprechend an Hamels Schrift, um die These zu unterstreichen, dass Hamel den vereinheitlichenden wie regressiven Anspruch der axiomatischen Methode tatsächlich auf dem Gebiet der Mechanik aufzeigen konnte. Als wesentliche Besonderheit werden nach Hamel mehrere traditionelle glq Zugänge grq zur Klassischen Mechanik nebeneinander gestellt, die in ihrer formalen Struktur deutliche Unterschiede aufweisen: die Punktmechanik, die Mechanik starrer Körper, die Kontinuumsmechanik und die analytische Mechanik. Es werden erstmals Grenzübergänge zwischen diesen verschiedenen Zugängen zur Klassischen Mechanik aufgezeigt, eine Analyse, die mit dem so genannten sechsten Problem Hilberts maßgeblich identifiziert wird.

Im Resultat wird illustriert, dass es übertrieben formalistische Vorstellungen vom logischen Ideal einer Axiomatisierung waren und sind, die zu ihrer Ablehnung in wissenschaftlichen Kreisen geführt haben. Gemeint ist vor allem die aktuell diskutierte glq semantische Sichtweise grq auf wissenschaftliche Theorien. In einer Rückbesinnung auf informelle Axiomatisierungen nach Hilbert und Hamel werden schließlich die entscheidenden Impulse für ein modernes und vielseitiges Theorieverständnis der Klassischen Mechanik gesehen.

Inhaltsverzeichnis

  • BEGINN
  • Vorwort
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Allgemeine Zielsetzung
  • 1.2 Neue wissenschaftstheoretische Herausforderungen in der alten Mechanik
  • 1.3 Arbeitsthese: die disjunktive Umsetzung von †™Axiomen der Klassischen Mechanik†™
  • 2 Hilberts sechstes Problem: davon, die Mechanik axiomatisch zu fassen
  • 2.1 Die axiomatische Methode als Ausgangspunkt der mechanischen Grundlagen im 20. Jahrhundert
  • 2.2 Die Formulierung des Hilbertschen Problems
  • 2.3 Die axiomatische Methode im sechsten Problem
  • 2.4 Merkmale einer axiomatisierten Theorie
  • 2.5 Abstufungen des Logischen in der Mechanik
  • 2.6 Einw¨ande gegen axiomatische Grundlagen der Mechanik
  • 2.7 Zum Rechtfertigungsproblem: Kritik am Instrumentalismus und Einberufung der Intuition
  • 2.8 Zum Erkl¨arungsproblem: interne Vereinheitlichung
  • 2.9 Ein Fazit: Informelle versus formale Axiomatik in den Grundlagen der Mechanik
  • 3 Hamels Grundlagen der Mechanik: Antworten auf Hilberts Problem
  • 3.1 Einleitende U¨ bersicht: Die Rekonzeption der Klassischen Mechanik durch Georg Hamel
  • 3.2 Zur physikalischen Seite des sechsten Problems
  • 3.3 Die Begriffsvielfalt in der rationalen Mechanik des beginnenden 20. Jahrhunderts
  • 3.4 Systematische Prinzipien der rationalen Mechanik
  • 3.5 Pragmatische Antworten: der Verzicht auf Teile der Problemstellung
  • 3.6 Die Axiome der Mechanik bei Hamel
  • 3.7 Die deduktive Vernetzung in Hamels Grundlagen der Mechanik
  • 3.8 Metamathematische Resultate
  • 3.9 Ein Fazit: Der Gegensatz der Anschauungen in der Punkt- Kontinuumsdebatte
  • 4 Einschra¨nkungen und U¨ bertreibungen: die Kontroverse um Hamels Grundlagen
  • 4.1 Einleitende U¨ bersicht
  • 4.2 Reaktionen auf Hamels Axiomatisierung der Klassischen Mechanik
  • 4.3 Wissenschaftsphilosophische Perspektiven von Hamels Grundlagen der Mechanik
  • 4.4 Der anwendungsbezogene Blick auf die Klassische Mechanik
  • 4.5 Ein Pl¨adoyer f ¨ ur informelle Axiome der Mechanik
  • 5 Weitere Perspektiven zu einer axiomatisierten Klassischen Mechanik
  • 5.1 Nolls und Truesdells Rekonstruktion der Kontinuumsmechanik
  • 5.2 Erweiterungen von punktmechanischen Systemen
  • Anhang
  • A Der Versuch, das Gegenwirkungsprinzip aus der Punktmechanik zu eliminieren
  • A.1 Der Beweisgang des achten Theorems
  • A.2 Die negative Bewertung des Versuches
  • B Zur logischen Ausgestaltung in der Mechanik
  • B.1 Syntax, Semantik und formale Repr¨asentationen
  • B.2 Tarskis Welt: Erf ¨ ullbarkeit, Modell und Struktur
  • B.3 Informelle Repr¨asentationen in der Klassischen Mechanik
  • Literaturverzeichnis
  • Sachregister

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