Kinderschutz in Deutschland und England

Was können Studierende durch Fallanalysen lernen?

Katja Nowacki und Graeme Simpson

Diese Publikation zitieren

Katja Nowacki, Graeme Simpson, Kinderschutz in Deutschland und England (24.04.2024), Beltz Juventa, 69469 Weinheim, ISSN: 0342-2275, 2014 #1, S.31

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Accesses

Beschreibung / Abstract

Für Studierende der Sozialen Arbeit ist das Handlungsfeld Kinder- und Jugendhilfe, mit dem rechtlichen und pädagogischen Vorgehen im Kinderschutz, ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung (Fachbereichstag Soziale Arbeit 2003). Hierbei ist das Kennenlernen kultureller, politischer und rechtlicher Grundlagen des Landes, in dem primär eine Berufstätigkeit angestrebt wird, essentiell (Lorenz 1994). Dies wird in den meisten Fällen, bei den Studierenden an bundesdeutschen Hochschulen in Deutschland selber sein. Allerdings ist gerade im Rahmen eines offenen europäischen Arbeitsmarktes der Einsatz von deutschen SozialarbeiterInnen in anderen europäischen Ländern denkbar und findet auch statt (Groterath 2011). So arbeiten in England zum Beispiel viele in Deutschland ausgebildete SozialarbeiterInnen (Hussein 2011). Darüber hinaus führt die Auseinandersetzung mit anderen Systemen dazu, dass das Vorgehen im eigenen Land genauer durchdacht werden muss und dadurch neue Anregungen gewonnen werden können (Baistow 2000). Dabei kann vermeintlich selbstverständliches Vorgehen als kultur- und länderspezifisch erkannt werden (Hetherington 1996). Dies ist eine wichtige Erkenntnis für Studierende auch in Bezug auf interkulturelle Kompetenzen. Im europäischen Ländervergleich (Deutschland - England) gibt es Unterschiede, etwa hinsichtlich der Prozesssystematik im Kinderschutz. Es wird so zur länderübergreifenden Perspektive vermittelt die im Kontext der Sozialen Arbeit eine wichtige Rolle spielen kann. Daher ist es sinnvoll, in Seminaren mehr über die Inhalte Sozialer Arbeit in anderen europäischen Ländern kennenzulernen und mit dem eigenen Vorgehen zu vergleichen. Dies erfüllt zudem wichtige Ziele der Bologna-Erklärung von 1999, in der die europäische Perspektive in Studium und Praxis zunehmend an Bedeutung gewonnen hat (Kober/Häuser 2012).

Eine Methode, um einen solchen internationalen Vergleich durchzuführen, ist die Fallanalyse (Bradley/ Firth 1998). Meeuwisse und Swärd (2007) sprechen hierbei von einem praxisorientierten Vorgehen, bei dem Fälle aus der praktischen Sozialen Arbeit zum Beispiel im Hinblick auf länderspezifische Vorgehensweisen untersucht werden. Simpson und Schöpf (2006) nennen wichtige Aspekte, die bei einem internationalen Vergleich beachtet werden müssen, zum Beispiel der Umgang mit der Übersetzung von Fachbegriffen. So sollten, um einen Vergleich zwischen zwei verschiedensprachigen Ländern durchführen zu können, Begriffe nicht nur sprachlich übersetzt werden, sondern auch deren inhaltliche Bedeutung verständlich gemacht werden (Horwarth/ Shardlow 2000). Der Begriff "Supervision" bedeutet in England ein fachliches Gespräch zwischen einer oder einem Vorgesetzten und einer oder einem Angestellten, wobei es hier ähnlich wie in den USA stärker als in Deutschland um die Überprüfung der Arbeit geht, die auch dienstrechtliche Konsequenzen haben kann (Stangl 2011). Zum Verständnis fachlicher Begriffe müssen also auch kulturelle, politische und linguistische Hintergründe verstanden werden. Außerdem zeigt sich, dass bei internationalen Vergleichen die Frage der Sprache geklärt werden muss. Der überwiegende Teil der Literatur über internationale Soziale Arbeit ist in englischer Sprache verfasst. Groterath (2011: 21 f.) spricht in diesem Zusammenhang von "linguistischem Imperialismus" und betont, dass auch Fachleute aus anderen Sprachkreisen Inhalte beizusteuern hätten. Im Zusammenhang mit internationaler Sozialer Arbeit sei gerade Deutsch eine wichtige Sprache zum Beispiel für MigrantInnen aus Osteuropa.

Um in der vergleichenden Fallarbeit die Beispiele einordnen zu können, müssen die Hintergründe des jeweiligen Landes verstanden werden, in dem die Hilfe installiert wird. Für die Bearbeitung von Fallbeispielen aus der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe sind vor allem die rechtlichen Grundlagen relevant, die in ihrer Umsetzung wiederum von ökonomischen, sozialpolitischen und kulturellen Bedingungen abhängen. So könnte die Richtlinie, ambulante Maßnahmen stationären Unterbringungen möglichst vorzuschalten, aus zwei Perspektiven betrachtet werden. Zum einen sind, aus politischer und psychologischer Perspektive, Familienmitglieder in der Regel wichtige Bezugspersonen für das Kind (Bowlby 1951), zum anderen sind ambulante Maßnahmen häufig nicht so kostenintensiv (ökonomische Perspektive). Darüber hinaus müssen die kulturellen Hintergründe der jeweiligen Personen beachtet werden, die eine Hilfe empfangen sollen. Dies gilt in Deutschland zum Beispiel für Familien mit einem türkischen Migrationshintergrund, für die die Unterbringung eines Mädchens in einer Gruppe der stationären Erziehungshilfe die Gefährdung ihres Rufes und der Familienehre bedeuten kann (Toprak 2009). Hierbei ist es wichtig, dass die SozialarbeiterInnen interkulturelle Kompetenzen besitzen, das heißt über Kenntnisse spezifischer Umgangsformen und Werte ethnischer Gruppen verfügen, um auf dieser Basis gemeinsam mit der Familie Lösungen erarbeiten zu können (Toprak/ Nowacki 2012).

Die Bearbeitung von Fallbeispielen kann also zur Vermittlung von Aspekten internationaler Sozialer Arbeit genutzt werden, um Studierende für Fragen kultureller, (sozial)-politischer, ökonomischer sowie rechtlicher Hintergründe zu sensibilisieren.

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