Die Finanzierbarkeit der Bürgerversicherung ist belegt - Für die Einführung einer Pflege-Bürgerversicherung

AWO Arbeiterwohlfahrt Bundesverband eV

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AWO Arbeiterwohlfahrt Bundesverband eV, Die Finanzierbarkeit der Bürgerversicherung ist belegt - Für die Einführung einer Pflege-Bürgerversicherung (29.03.2024), Beltz Juventa, 69469 Weinheim, ISSN: 0342-2275, 2012 #3, S.164

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Accesses

Beschreibung / Abstract

Nachhaltige Reformen der sozialen Sicherungssysteme gehören zu den zentralen Herausforderungen der deutschen Politik. Auch die Pflegeversicherung gerät diesbezüglich verstärkt in den Fokus der Reformnotwendigkeit. Nach Auffassung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) ist eine menschenwürdige Pflege und Betreuung nur dann möglich, wenn diese Reformnotwendigkeit schnell und nachhaltig umgesetzt wird. Die AWO als Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege mit rund 1500 pflegerischen Einrichtungen und Diensten hat sich bereits weit vor der tatsächlichen Einführung der Pflegeversicherung für eine sozialversicherungsrechtliche Absicherung des Pflegerisikos eingesetzt. Insofern sehen wir uns in der Pflicht, Lösungsvorschläge für die unabweisbar notwendige Reform bzw. Weiterentwicklung der Pflegeversicherung zu entwickeln und voranzutreiben. Für die AWO liegt der Fokus der Betrachtung dabei auf den folgenden Gesichtspunkten: -- - Was ist unter menschenwürdiger und bedarfsgerechter Pflege und Betreuung zu verstehen? -- - Welche personellen, strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen sind dafür notwendig? -- - Welche finanziellen Ressourcen sind dafür notwendig? -- Die pflegerische Versorgung der Bevölkerung und damit auch die Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit stellt nach Auffassung der AWO eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar, die auch in Zukunft solidarisch getragen und finanziert werden muss. Die AWO vertritt dabei ganz eindeutig die Auffassung, dass auch zukünftig an der Pflegeversicherung als fünfter Säule der Sozialversicherung, mit ihren Grundzügen Versicherungsprinzip, solidarische Finanzierung und sozialer Ausgleich festzuhalten ist. Die Soziale Pflegeversicherung muss weiterhin das -- Element in der Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit bleiben. Eine Verlagerung des Risikos der Pflegebedürftigkeit in den Bereich der Eigenvorsorge, bspw. im Rahmen von privaten Zusatzversicherungen, lehnen wir entschieden ab. -- Die aktuell diskutierten Alternativen zu einer umlagefinanzierten Pflegeversicherung sind in Wirklichkeit keine Alternativen. Ein steuerfinanziertes Leistungsgesetz wird nur ein Minimum des Gesamtbedarfes abdecken, so dass von einer Absicherung des Pflegerisikos nicht mehr gesprochen werden könnte. Pflegebedürftige müssten bis zum Sozialhilfeniveau ihr gesamtes Einkommen und Vermögen zur Absicherung der Pflegebedürftigkeit einsetzen, es sei denn, sie versicherten sich privat in ausreichendem Maße. Das werden allerdings gerade Menschen im unteren Einkommensbereich nicht tun können. Weiterhin besteht die Gefahr, dass die Bedarfsdefinition eines steuerfinanzierten Leistungsgesetzes je nach Haushaltslage von Bund und Ländern verändert wird. Ein umlagefinanziertes Sozialversicherungssystem unterliegt dieser Gefahr nicht. -- Der Alternativvorschlag eines Kapital- oder Teilkapitaldeckungsverfahrens führt in den nächsten Dekaden zu einer unzumutbaren Doppelbelastung der aktiven Jahrgänge. Das ist sozialpolitisch und unter dem Aspekt der gerechten Verteilung von Belastungen kaum vertretbar bzw. vermittelbar. Millionen von Menschen müssten ihr persönliches Pflegerisiko absichern und gleichzeitig das auslaufende Umlage-Verfahren zu Ende finanzieren, ohne Leistungen daraus erhalten zu können. Außerdem hat die globale Finanzkrise in sehr plastischer Form verdeutlicht, dass Kapitaldeckungsverfahren in hohem Maße instabil sein können und somit kein belastbares und sicheres Fundament für die Absicherung eines so existenziellen Lebensrisikos, wie der Pflegebedürftigkeit darstellen. -- Insofern verbleibt als echte Option nur eine Strukturreform der umlagefinanzierten Pflegeversicherung. Es ist davon auszugehen, dass keine einzelne Maßnahme ausreicht, um die Pflegeversicherung gerade bzgl. der demografischen Entwicklung zukunftsfest zu machen. Dabei ist der von der Rürup-Kommission gemachte Vorschlag eines intergenerativen Lastenausgleichs (was konkret eine Mehrbelastung für die Rentnergeneration bedeuten würde) ein Teilaspekt, der allerdings im Hinblick auf seine Belastungsgerechtigkeit noch näher zu prüfen ist. Weiterhin lassen sich mittelfristig durch eine Stärkung von Prävention und Rehabilitation, sowie durch eine Stärkung der ambulanten Versorgung Kosten reduzieren. -- Der Hauptbaustein einer Pflegeversicherungsreform muss allerdings in einer Ausgestaltung der Pflegeversicherung als Bürgerversicherung bestehen. Das bedeutet konkret die Aufhebung der Grenze zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung. Beamte, Selbstständige und jetzt freiwillig Privatversicherte müssten sich zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzlich versichern. Weitere Aspekte einer Bürgerversicherung sind die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze auf die derzeit in der Rentenversicherung geltende Höhe von 5500 Euro pro Monat sowie die Einbeziehung aller Einkommensarten in einer Säule bei der Beitragserhebung. -- Die Einführung einer Pflege-Bürgerversicherung ist in der Bevölkerung vermittelbar. Fraglos würden Besserverdienende höher belastet als in der bisherigen Systematik, die im Grunde genommen das Solidarprinzip aushöhlt. Während die gesetzlichen Pflegekassen seit Jahren Defizite verzeichnen, steigen die Rücklagen der privaten Pflegeversicherung jedes Jahr, obwohl der Beitrag regelmäßig gesenkt wurde. Das liegt zum einen an Gesundheitsprüfungen, die private Versicherungsunternehmen vornehmen, zum anderen daran, dass die oberen Einkommensschichten ohnehin gesundheitlich besser versorgt sind (und zwar aufgrund ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit) und somit in der Folge auch in geringerem Maße pflegebedürftig werden. Die Leistungsausgaben pro Versichertem liegen bei den privaten Unternehmen nur bei einem Drittel der Kosten der gesetzlichen Pflegeversicherung. --

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